Der „VW-Abgasskandal“ und seine rechtlichen Folgen

Wie sollten sich Betroffene verhalten?

Laut Medien sind alleine in Deutschland 2,8 Millionen Fahrzeuge von dem „VW-Abgasskandal“ betroffen. Als Rechtsanwalt und unmittelbar selbst Betroffener erreichen mich täglich Anfragen von potentiellen Mandanten, die nach der rechtlichen Bewertung oder nach Handlungsmöglichkeiten fragen.

Die rechtlichen Aspekte aus diesen Gesprächen und die Fragen, die man an mich richtet, möchte ich in dem nachfolgenden Beitrag zusammenfassend darstellen.

Bitte beachten sie, dass jeder Lebenssachverhalt und somit auch jeder rechtlich zu bewertende Fall anders ist. Daher sollten Sie am besten einen Rechtsanwalt aufsuchen, der in Kenntnis der Einzelheiten und der individuellen Situation für Sie persönlich am besten entscheiden kann, was aus rechtlicher Sicht zu veranlassen ist.

Unter den Begriffen „VW-Abgasskandal“, “VW-Abgasaffäre“ oder „Dieselgate“ wird ein seit September 2015 aufgedeckter Vorgang bezeichnet, bei dem die Volkswagen AG eine Zykluserkennung in der Motorsteuerung ihrer Diesel-Fahrzeuge verwendete, um die US-amerikanischen Abgasnormen zu umgehen.

Betroffen sind laut dem deutschen Bundesverkehrsministerium auch in Europa zugelassene Autos, offenbar sind auch über 2,8 Millionen Fahrzeuge in Deutschland betroffen. Ob auch Ihr Fahrzeug betroffen ist, kann man durch Eingabe der Fahrgestellnummer auf einer von der Volkswagen AG bereitgestellten Plattform selbst in Erfahrung bringen.

Welche Rechte bestehen für den/die betroffene Person?

Nach deutschem Recht dürfte es für die Annahme eines Sachmangels, der Gewährleistungsrechte begründen könnte, noch nicht ausreichend sein, dass eine Manipulationssoftware in den jeweiligen Fahrzeugen verbaut wurde. Sollte sich allerdings bei den weiteren Ermittlungen herausstellen, dass auch die ermittelten Schadstoffwerte/Verbrauchswerte fehlerhaft sind oder durch eine vorzunehmende Umrüstung werden, dann liegt ein Sachmangel vor, der die Ansprüche auf Nacherfüllung/Nachbesserung (sog. primäre Gewährleistungsrechte), Minderung, Rücktritt vom Kaufvertrag und/oder Schadenersatz (sog. sekundäre Gewährleistungsrechte) begründen kann.

Für Verbraucher/Privatpersonen gilt in der Regel bei einem Neufahrzeug eine zweijährige Gewährleistungsfrist. Bei einem Gebrauchtwagen läuft eine mindestens einjährige Frist, wenn das Fahrzeug von einem Händler erworben wurde. Schon diesbezüglich kann es ratsam sein, eine solche grundsätzlich zulässige Verkürzung des Gewährleistungsfrist auf ein Jahr auf ihre Wirksamkeit überprüfen zu lassen. Unternehmer haben hingegen bei einem Neuwagenkauf eine Gewährleistungsfrist von in der Regel einem Jahr, die bei einem Gebrauchtwagenkauf sogar gänzlich – bei entsprechend wirksamer Klausel – abbedungen werden könnte.

Sehr oft werde ich gefragt, ob Schadenersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung oder Betrug bestehen könnten. Derartige Ansprüche gegen den Verkäufer würden voraussetzen, dass dieser arglistig getäuscht hat. Dabei stellt sich die Frage, ob ein Fehlverhalten der Volkswagen AG als Hersteller dem Händler zugerechnet werden kann. Dies dürfte schwierig zu konstruieren sein.

Gänzlich auszuschließen ist dies allerdings nicht. Gemäß § 123 BGB ist eine Erklärung, wenn ein Dritter die Täuschung verübt hat, nur dann anfechtbar, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen musste. Muss sich der Händler - insbesondere der VW-Vertragshändler - das Verhalten des Herstellers nach Billigkeitsgesichtspunkten und Treu und Glauben zurechnen lassen, so dass VW im Verhältnis zum Händler eben kein „Dritter“ ist, oder ist der Vertrag nur anfechtbar, wenn der Händler die Manipulation des Hersteller kannte oder kennen musste, was zeitlich erst nach den neusten Enthüllungen der Fall sein dürfte? Diese Fragen werden in der näheren Zukunft sicher zu diskutieren sein und werden wohl entscheidend den Ausschlag geben, ob eine Anfechtung gegen den Verkäufer in Betracht kommen kann.

Nicht wegzudiskutieren ist sicherlich, dass eine etwaige Täuschung kausal für den Kaufentschluss der Betroffenen wurde. Berücksichtigt man die schon jetzt recherchierbaren Informationen, lässt sich ein Anfechtungsrecht anhand der Gesamtumstände nicht ausschließen. Es spricht vieles dafür, dass die Volkswagen AG wohl planvoll und zielgerichtet gehandelt hat. Es spricht viel dafür, dass die Emissionswerte im Zuge der Laborprüfung beeinflusst worden sind, obwohl diese im tatsächlichen Betrieb deutlich höher sind. Die Volkswagen AG hat in der Vergangenheit auch gezielt mit ökologischen Gesichtspunkten Werbung für ihre Fahrzeuge betrieben. Diese ökologischen Gesichtspunkte stehen nicht selten im Vordergrund, wobei die weiteren Fahrzeugmerkmale wie Leistung, Raumangebot und Geschwindigkeit nur noch sekundär oder begleitend eine Rolle spielen.

Da Emissionswerte auch in Verbindung mit der zu entrichtenden Kraftfahrzeugsteuer stehen, kann daher diese Annahme aus meiner Sicht nicht widerlegt werden. Dadurch, dass Emissionswerte durch den Einsatz von Manipulationssoftware nach unten „korrigiert“ werden, wurde von der Volkswagen AG auch Einfluss auf den Kaufentschluss der Kunden genommen.

Sollte sich der Manipulationsverdacht bestätigen, stehen auch direkte Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG als Hersteller im Raum. Gerade bei Eigentümern von älteren betroffenen Fahrzeugen, bei denen die eigentlichen Gewährleistungsfristen schon abgelaufen sind, könnten auf diesem Wege ebenso noch Ansprüche geltend machen. In Betracht kommen hier zum einen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB sowie Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Bei der Höhe etwaiger Ansprüche spielen zum Beispiel Kosten für die Fehlerbeseitigung sowie Mehrkosten durch einen höheren Kraftstoffverbrauch eine Rolle. Aber auch eine etwaige Wertminderung durch den verursachten Imageschaden durch diesen Skandal könnte ggf. zu berücksichtigen sein. 

Die Betroffenen können vom Verkäufer/Händler im Rahmen der Sachmängelgewährleistung zunächst kostenfreie Nacherfüllung/ Nachbesserung verlangen. Kommt der Händler einer fristgerechten Aufforderung nicht nach oder ist dies aus anderen Gründen, wie zum Beispiel langen Wartezeiten auf die Nachrüstung nicht zumutbar, bestünde die Möglichkeit, vom Kaufvertrag zurückzutreten oder eine Kaufpreisminderung zu beanspruchen. Nach den gesetzgeberischen Vorgaben kommt ein Rücktritt vom Kaufvertrag nur in solchen Fällen in Betracht, in denen ein „erheblicher“ Mangel vorliegt. Die Rechtsprechung geht in der Regel von einem erheblichen Mangel dann aus, wenn die Kosten der Nachbesserung mehr als 5 % des Kaufpreises betragen. Sollte sich durch neue Enthüllungen auch herausstellen, dass der Spritverbrauch tangiert wird, könnte man sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Aktenzeichen VIII ZR 19/05) beziehen, wonach ein "erheblicher Mangel" vorliegt, wenn der Spritverbrauch mindestens zehn Prozent über dem angegebenen Wert liegt. Auch dann könnte ein Rücktrittsgrund vorliegen.

Bei "unerheblichen Mängeln" bleibt den Betroffenen aber noch immer die Möglichkeit eine Kaufpreisminderung zu verlangen. Eine gerichtliche Entscheidung, ab wann eine Überschreitung der Abgaswerte einen erheblichen Mangel darstellt, steht noch aus.

Wenn eine Nachbesserung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann eine Kaufpreisminderung im Raume stehen. Die Höhe der Minderung kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Hier spielen Fragen zum Wertverlust des Fahrzeugs bzw. die Kosten der Fehlerbeseitigung eine große Rolle.

Wenn Gewährleistungsfristen abgelaufen sind, ist ein Rücktritt vom Vertrag in der Regel nicht mehr möglich. Hier kämen dann aber noch die oben beschriebenen Schadensersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung gegen den Hersteller – bei einer zu diskutierenden Zurechnung auch gegen den Händler - in Betracht, wenn sich die im Raume stehenden Manipulationen bestätigen.

Sofern Sie bereits ein von dem Skandal betroffenes Fahrzeug bestellt, aber noch nicht geliefert bekommen haben, stellt sich die Frage, ob eine Pflicht zur Abnahme besteht oder die Abnahme noch verweigern werden kann. Es ist wohl derzeit dazu zu raten, die Abnahme nur unter Vorbehalt der Geltendmachung von Sachmängelrechten bzgl. erhöhter Abgas- oder Verbrauchswerte vorzunehmen. Es empfiehlt sich in jedem Fall, eine schriftliche Bestätigung des Verkäufers einzuholen.

Jedem Betroffenen ist im Übrigen zu raten, selbst schriftlich Kontakt mit dem Verkäufer und parallel mit dem Hersteller aufzunehmen. Die Aufforderung zur Abgabe eines Verjährungsverzichts/Verjährungsverlängerung ist ratsam, ebenso wie bei bereits bestellten Neuwagen – wie oben erläutert - vor Abnahme die Bestätigung einzuholen, dass man sich Rechte vorbehält.

Es ist zwar davon auszugehen, dass man als Betroffener ohnehin in nächster Zeit in dieser Sache von dem Händler und/oder von dem Hersteller kontaktiert wird, verlassen sollte man sich hierauf allerdings nicht, so dass eine aktive Kontaktaufnahme der durchaus sicherere Weg sein dürfte.

Konkreter Handlungsbedarf besteht jedenfalls für alle Betroffene, die vor der Abnahme ihres neu erworbenen Dieselfahrzeugs stehen oder in den Fällen, in denen die Sachmängelhaftungsfrist demnächst abläuft.

Daneben stellen sich auch weitere Fragen z.B. über Auswirkungen auf die Kfz-Steuer, die Betriebserlaubnis, die Zulassung und die Umweltplakette, die aus rechtlicher Sicht derzeit noch nicht abschließend bewertet werden können.

Nach bisherigem Kenntnisstand ergaben sich keine Auswirkungen auf die Höhe der Kfz-Steuer der betroffenen Fahrzeuge, da Bemessungsgrundlagen für die Steuer Hubraum und CO2-Ausstoß sind. Die durch den Skandal betroffenen Stickoxide werden zur Bemessung der Kfz-Steuer von Dieselfahrzeugen (PKW) in Deutschland nicht herangezogen. Nach neuesten Meldungen hat VW nunmehr zugegeben (Stand: 05.11.2015), dass es auch zu "Unregelmäßigkeiten" bei der Zulassung einiger Fahrzeugmodelle gekommen sei. Es seien "zu niedrige CO2- und damit auch Verbrauchsangaben festgelegt" worden. Dies lässt auch wieder Raum für eine andere rechtliche Bewertung.

 Das Verkehrsministerium hat hierzu schon betont, dass bei Kraftfahrzeugen, welche mehr CO2 ausstoßen, als aus den Unterlagen hervorgeht, die Kfz-Steuer neu berechnet werden müsste. Denn der CO2-Ausstoß ist eine Berechnungsgrundlage für die Kfz-Steuer. Da VW die Werte nach den neuesten Meldungen geringer angegeben hat, als sie sind, würde das für die betroffenen Fahrzeuge bedeuten, dass der Halter in eine schlechtere Schadstoffklasse rutschen kann, also mehr Kfz-Steuer zahlen muss. Der Verkehrsminister teilte mit, dass hierüber gerade Gespräche mit dem Finanzministerium geführt werden, dem die Hoheit über diese Steuer obliegt.

Der Verkehrsminister betonte, dass die Halter durch diese neuen Enthüllungen nicht belastet werden sollen. Welche Lösung man zukünftig auf politischer Ebene erarbeitet, bleibt abzuwarten.

Die Entwicklungen sind genau zu beobachten. Man spricht von weiteren 800.000 betroffenen Fahrzeugen, diesmal offensichtlich auch Fahrzeuge mit Otto-Motoren.

Die Betriebserlaubnis eines Kraftfahrzeugs erlischt nur bei Änderungen von Fahrzeugteilen, wenn dadurch die Fahrzeugart geändert wurde, eine Gefährdung zu erwarten ist oder das Abgas- und Geräuschverhalten verschlechtert wird. Dies regelt § 19 Abs. 2 StVZO: Eine Änderung in diesem Zusammenhang erfordert ein aktives Tätigwerden am Fahrzeug nach Zulassung.

Die Betriebserlaubnis ist nicht Bestandteil der Zulassung. Daher führt allein das Erlöschen der Betriebserlaubnis nicht automatisch zum Erlöschen der Zulassung. Die Zulassungsbehörde kann jedoch gem. § 5 Abs. 1 FZV die Beseitigung des Mangels verlangen oder den Betrieb des Fahrzeugs untersagen

Sollte es zu einem Rückruf des Herstellers kommen, sollte dieser Aufforderung nachgekommen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei nicht nachgerüsteten Fahrzeugen tatsächlich zu Nachteilen bei der Kfz-Steuer, der Umweltplakette oder schlimmstenfalls bei der Zulassung des Kfz kommt. Hierzu müsste jedoch das gesamte Ausmaß der Manipulation bekannt sein, die Wirkung der Servicemaßnahmen und das daraus resultierende Verhalten der Behörden, vor allem dem Kraftfahrtbundesamt. Dies ist derzeit noch nicht abschließend zu bewerten.

Die dargestellte Komplexität der Angelegenheit verdeutlicht, dass es sich für Betroffene durchaus lohnen kann, einen mit der Materie vertrauten Rechtsanwalt zur Prüfung der Frage, ob ganz konkret Handlungsbedarf besteht, einen mit der Materie vertrauten Rechtsanwalt zu konsultieren.

Gerne stehen wir Ihnen im Rahmen eines Beratungsgesprächs zur Verfügung.

Rechtsanwalt Carsten Jakob
Fachanwalt für Verkehrsrecht 
Partner der Kanzlei Wellmann & Kollegen, Darmstadt

 

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